Erasmus
Schöfer



 
Nachruf

 

aus CONTRASTE Nr. 454 | 07-2022

 

NACHRUF AUF ERASMUS SCHÖFER

»Den Stein auf den Berg bringen«

Am 7. Juni starb der Kölner Schriftsteller Erasmus Schöfer 91jährig nach zehrender Krankheit. Wie seine Protagonist*innen in seinem großen Zeitroman »Die Kinder des Sisyfos« ließ er sich nie entmutigen. Noch Monate zuvor war er bei Demonstrationen dabei, ein Kämpfer für den Frieden und gegen die Unbillen des Kapitalismus, im Herzen ein schreibender Revolutionär.

HEINZ WEINHAUSEN, REDAKTION KÖLN

Gerade selbst bei der Sozialistischen Selbsthilfe in Köln-Mülheim (SSM) angekommen, lernte ich Erasmus und seine Arbeitsweise vor gut 20 Jahren kennen. Er schrieb einen Beitrag für das von Günter Grass herausgegebene Buch »In einem reichen Land – Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft«. Mit seinem Porträt unserer Selbsthilfe brachte er dann aber gerade nicht das Leiden in das Buchprojekt ein, er zeigte vielmehr, dass ausgegrenzte Menschen heute schon selbstbestimmt und würdevoll leben können. Eine ganz andere Gesellschaft zeigte sich als möglich. Mittels seiner Gespräche und Interviews drang er in den Kern dessen ein, was unser Kollektiv ausmachte und brachte dann in seinem Essay neben der Beschreibung unseres Projektes in dichterischer Freiheit ebenso ein, was Menschen persönlich erlebten und fühlten.
In diesem Sinne schuf er in den nächsten Jahren sein großes Werk »Die Kinder des Sisyfos«, in dem er die Zeit der 68er-Revolte bis zum Niedergang der DDR im Jahre 1989 schilderte. Für mich eine große Würdigung der damals Aktiven und zugleich ein großer Erfahrungsschatz, weil er die Lesenden hautnah eintauchen lässt in die konkreten Kämpfe und Auseinandersetzungen der siebziger und achtziger Jahre. Als Kämpfer war er selbst dabei oder begleitete die den Aufbegehrenden. In vielen Beschreibungen, in Gedichten und vor allem in Dialogen lässt er uns beispielsweise in die 1968 – Demonstrationen, in die Verhinderung des AKW Wyhl, in die Aktivitäten des »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«, in das Ringen um Frauenrechte, in viele hart geführte gewerkschaftliche Kämpfe eintauchen und sie neu erleben. Die Protagonisten sind dabei keine Helden, sind widersprüchliche Persönlichkeiten, die viele Niederlagen einstecken müssen und trotzdem immer wieder wissen aufzustehen. »Mir geht es bei dem Sisyfos-Mythos nicht um die Vergeblichkeit, sondern um die Beständigkeit in dem Versuch, den Stein auf den Berg zu bringen und sich nicht entmutigen zu lassen.« So sah und lebte er es.
Selbst nach dem epochalen Zusammenbruch der DDR mitsamt der DKP, in der Erasmus Schöfer lange Mitglied war, wusste er wieder nach vorne zu schauen. Im Roman ließ er Viktor Bliss den Zukunftsforscher Robert Jungk fragen, wie Fehler und Niederlagen produktiv genutzt werden können. Eine seiner eigenen Antworten, , war, sich den selbstorganisierten Initiativen, Kommunen und Bewegungen zuzuwenden. So porträtierte er die Kommune Niederkaufungen, so unterstützte er unsere CONTRASTE-Zeitung – literarisch und finanziell.
Nun liegt es an uns allen, seinen Staffelstab des Revolutionären weiterzutragen. Ich fühle mich mit ihm einig: Die Power von Achtundsechzig wird es nur noch jenseits von gnadenlosem Markt und Kapitalisten-Staat geben. Der Stein ist nur zurückgerollt, damit ein neuer Frühling kommen kann.


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In der CONTRASTE erschien von Erasmus Schöfer 2011 eine Artikelserie mit Auszügen
aus »Die Kinder des Sisyfos«

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Erasmus Schöfer's Beitrag für das von Günter Grass herausgegebene Buch »In einem reichen Land – Zeugnisse alltäglichen Leidens an der Gesellschaft« | 2002
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